Kann man Menschen entwickeln?
Dazu habe ich heute ein paar Gedanken. Ich bin ein starker Kritiker von all diesen Entwicklungsangeboten, die eine schnelle Lösung versprechen. Natürlich ist nichts daran auszusetzen, wenn etwas schnell die gewünschte Wirkung erzielt. Aber bei menschlichen Veränderungs- und Entwicklungsprozessen ist das selten der Fall. Nicht nur bei kurzfristigen Veränderungen sondern auch in längeren Prozessen möchten wir Menschen gerne entwickeln. Wenn wir Menschen entwickeln, dann verändern wir sie doch auch? Sind wir aber in der Lage, Menschen zu verändern? Ich denke nicht. Natürlich könnte oder müsste ich hier eigentlich Literatur und theoretische Ansätze beiziehen, um das zu unterstreichen und zu prüfen. Weil dieser Blog aber keine vertiefte Arbeit werden soll und weil es eher als Denkanreiz gedacht ist, muss es auch ohne gehen.
Trotzdem: Falls es dich interessiert, hier ein paar Ansätze, die meine Gedanken begleiten (sich vielleicht manchmal auch etwas widersprechen)
- Rational Emotive Verhaltenstherapie (REVT) (Albert Ellis)
- Coaching(theorie) Ressourcen- und Lösungsorientiert, sowie Abgrenzungen Therapie, Beratung, Training etc.
- Akzeptanz- und Commitmenttherapie sowie achtsamkeitsbasierte Themen (MBSR, Selbstfürsorge, Selbstmitgefühl)
- Logotherapie, Sinnzentrierte-Themen (Viktor E. Frankl, Tatjana Schnell)
- Personenzentrierter Ansatz (Carl Rogers)
- Systemisch- Konstruktivistischer Ansatz
- Themenzentrierte Interaktion TZI
Warum so kritisch?
Ich selbst war (oder bleibe immer) betroffener. Betroffener «kranker» und ich fand einen Weg aus der Scheisse. Da waren einerseits die grossen Einschränkungen und da sind auch immer wieder die kleinen Alltagsthemen. In schwierigen Zeiten und Krisen sind wir viel anfälliger auf die schnellen Tipps, Tricks und einfachen Lösungen. Aber auch im Alltag sind viele offen für Ratschläge von (vermeintlichen) Expertinnen und Experten. Viele dieser «Expertinnen und Experten» teilen dann ihre Erfahrungen, ihre Lösungen und wollen natürlich auch verkaufen. Ich erlebe und beobachte immer wieder eine Art Übergriffigkeit. Ein schönes Beispiel war, als mich vor kurzer Zeit jemand etwas gefragt hat und meine Reaktion ihn dazu verleitete zu sagen «siehst du, jetzt habe ich dich getriggert. Ich setze gerne manchmal Trigger». Ich war wieder einmal sprachlos. Sprachlos, weil ich nicht nach einem Trigger gefragt hatte. Sprachlos, weil ich nicht getriggert war, sondern weil mir bereits die Frage zu denken gab. Sprachlos, weil es eben irgendwie übergriffig ist. Denn diese Person war oder ist so ein «Experte». Vielleicht einer ohne Rollenklarheit? Das Gespräch war einfach so, zwischen Tür und Angel. Ich wollte keinen Trigger, kein Coaching, keine Beratung. Deshalb bin ich kritisch. Weil Beratung, Coaching, Mentoring etc. einen klaren Rahmen brauchen. Weil schnelle Tipps, Tricks und Ratschläge nur selten helfen.
Warum wollen Menschen andere ent-wickeln?
Ja, warum wollen andere eigentlich wiederum andere entwickeln? Ich habe den Eindruck, dass viele ihre Erfahrungen weitergeben möchten. Menschen möchten andere Menschen vielleicht vor dem Leiden bewahren. An all dem ist nichts auszusetzen. Da gibt es sicher noch ganz viele andere Gründe. Ich bin mir aber nicht sicher, wie viele sich ihren eigenen Motiven wirklich bewusst sind.
Können wir Menschen entwickeln?
Wir können Menschen beraten, wir können Menschen coachen, wir können Menschen trainieren, wir können Menschen (sofern wir die Ausbildung und Bewilligung haben) therapieren. Wir können ihnen etwas beibringen, sie etwas lehren, … . Wir können aktiv handeln, aber können wir die Menschen entwicklen? Ich denke nicht.
Was können wir tun?
Rahmenbedingungen schaffen und gemeinsame Rahmen festlegen. Was passt zur Situation, was passt zum Menschen, was passt zum Lehrer, zum Coach, zur Beraterin, zur Therapeutin. Dann können wir eine Beziehung und eine Umgebung schaffen, in der Entwicklung möglich wird. Entwickeln können sich die Menschen dann nur selbst. Diese Entwicklung(en) finden ganz selten in kurzer Zeit statt. Dafür ist über eine längere Zeit ganz viel Veränderung, Wachstum und Entwicklung möglich.
Eine verantwortungsvolle Aufgabe
Mit Menschen (als Coach, Berater, Trainer, …) zu arbeiten ist also eine verantwortungsvolle Aufgabe. Wir haben zwar nicht die Verantwortung für unser Gegenüber (ausser natürlich in gewissen Situationen & Berufen) aber, wir sind verantwortlich für uns selbst und den Prozess. Dieser Verantwortung wird, so denke und empfinde ich zumindest immer wieder zu wenig Rechnung getragen. Es ist aber auch genau dort, wo es unangenehm wird.
Zum Schluss noch ein paar Textteile, die hier nicht schlecht passen und vielleicht auch zum Nachdenken anregen.
«Mein Lieblingsthema ist: Was mache ich mit mir, wenn der andere nicht so ist, wie ich ihn haben möchte?» Ruth C. Cohn
«Die Aufgabe wechselt nicht nur von Mensch zu Mensch – entsprechend der Einzigartigkeit jeder Person – sondern auch von Stunde zu Stunde, gemäß der Einmaligkeit jeder Situation.»
«Ich fühle mich glücklicher, nur weil ich ich selbst bin und andere sie selbst sein lasse.»
«Menschen sind lernfähig, aber unbelehrbar.»
«Wenn du andere Leute ansiehst, frage dich, ob du sie wirklich siehst, oder ob du nur deine Gedanken über sie siehst.»
Auch dieser Text ist unfertig und «nur» ein Denkanreiz. Denn natürlich gibt oder gäbe es noch andere Blickwinkel. Vermutlich werde ich keine direkte Fortsetzung zu diesem Beitrag machen und so wird vieles unbeantwortet bleiben, nur an der Oberfläche kratzen und die Differenzierung fehlt. Du hast selbst Gedanken dazu und möchtest dich dazu austauschen? Dann kannst du dich gerne melden.
Titelbild: Ben Zaugg, bei einem meiner Waldspaziergänge