Mut, sich zu zeigen

Mutig oder menschlich?

«Wenn du andere Leute ansiehst, frage dich, ob du sie wirklich siehst, oder ob du nur deine Gedanken über sie siehst.»

Jon Kabat-Zinn

Als ich die erste Podcast-Folge veröffentlicht habe, als ich in Blogs über meine Biografie geschrieben habe und seither immer wieder. Die Menschen schreiben und sagen mir «du bist mutig». Die Menschen sagen «das könnte ich nicht». Sie bewundern mich. Wofür? 

Ich habe, wie jede und jeder andere eine Vergangenheit. In dieser war ich zuerst ein interessiertes Kind. In der Schule passte ich nicht so ganz ins Raster und anstatt draussen zu sein, zu spielen oder im Wald zu sein, sass ich in Wartezimmern, in Praxisräumen und sprach mit Erwachsenen. Hermann schreibt in seinem Blog übrigens im Moment über die Wichtigkeit des Spiels und der Freiheit bei Kindern.  

Später kämpfte ich mit Sozialängsten, Panikattacken, hatte Essprobleme und isolierte mich immer mehr. Dieser Teil der Geschichte ist in Podcasts und in diesem Blog erzählt.  

Nun, in der Zeit der Krise sucht man oder suchte ich einen Sinn. Wenn ich kämpfe und mich den Ängsten stelle, wofür mache ich das? Bringt es überhaupt etwas? Lohnen sich diese Anstrengungen? Ich fand damals den Sinn darin, meine Geschichte irgendwann erzählen zu können. Ich wollte es erzählen, um anderen Mut zu machen. Dafür musste ich aber erst einmal mutig sein, sehr mutig sogar. Ich musste mich meinen Dämonen stellen.  

Meine Geschichte habe ich zuerst leise erzählt. Ich schrieb von einem anderen. Die Menschen waren beeindruckt, sie waren berührt.  

Später sprach oder schrieb ich immer mehr von mir. Es gab kein verstecken mehr. Es meldeten sich völlig unbekannte Menschen bei mir. Eltern, die ihre Kinder selbst unter Druck setzen und das nicht mehr möchten. Angestellte, die immer wieder mit Ängsten kämpfen, Menschen, die sich in meiner Geschichte wiedererkennen.  

Und die Masse? Sie schreit «du bist mutig!» Sie bewundern mich für meinen Weg. Sie bewundern mich für diesen Mut, mich zu zeigen.  

Zuerst fühlte ich mich geschmeichelt, berührt, stolz und irgendwann.. WTF?! Die Masse findet es also mutig, sich mit seinen Schwächen, mit seinen Wunden und Narben zu zeigen. Die Masse findet es also mutig, sich menschlich zu zeigen? Super!  

Eigentlich gibt es dazu gar nicht mehr so viel zu sagen.  

Sie fänden es wahrscheinlich auch mutig, anderen Menschen, allen voran den Kindern ihren Freiraum zu lassen. Sie fänden es auch mutig, den Erwachsenen ihre Freiräume zu lassen.


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