Im Hier und Jetzt

Im Hier und Jetzt

Es ist klar, dass die Vergangenheit uns geprägt hat. Unser Denken, unser Verhalten, unsere Werte und einiges mehr sind geprägt durch unser Umfeld, durch unsere Erlebnisse. Wir sagen dann gerne «Ich bin so» oder über andere «Er/Sie ist so (zum Beispiel zurückhaltend, ängstlich, mutig, schlau, …)». Da sind viele Prägungen, die uns nicht bewusst sind. Im Hier und Jetzt ist vielleicht nicht der ideale Titel dieses Beitrags und doch ist die Gegenwart der Ort oder der Zeitpunkt, in dem wir uns (plötzlich) anders erleben können. Im Hier und Jetzt kann auch heissen, sich auf den Moment einzulassen.

(Schul-)Lager, Gruppenreisen und andere Horrorgeschichten

In diesen Schullagern, Landschulwochen, ein- oder mehrtägigen Firmenaktivitäten habe ich mich nie wohlgefühlt. Wenn immer möglich, habe ich sie gemieden. Ja, meistens war es eine Art Horrortrip. Zu viele Leute, zu wenig Selbstbestimmung und sowieso fanden alle das gemeinsam unterwegs sein toll. An Zeit für Rückzug und Zeit für mich war kaum zu denken. Also ist (war) für mich klar, dass ich es hasse, in Gruppen unterwegs zu sein.

Wachsen in und an der Gruppe

Um eine Ausbildung abschliessen zu können, war es (leider) entscheidend, ein paar Tage an einem Modul zur Gruppendynamik teilzunehmen. Was für eine Sche**** dachte (und fühlte!) ich. Auch wenn ich sonst eher zurückhaltend bin, äusserte ich meinen Unmut bereits bei der Anmeldung. Gut, da musste ich durch und was soll ich sagen, diese Woche hat mein Leben verändert. Das dachte ich zumindest nach diesen vier Tagen. Ich war tatsächlich zum ersten Mal ein Teil einer Gruppe, fand oder nahm mir genügend Zeit für Selbstbestimmung, erlebte eine andere Dynamik als sonst (es war nicht alles nur gut) und nach diesen vier Tagen fühlte ich mich «geheilt». Wie geil das war! Ich kam nach vier Tagen mit mehr Energie zurück als ich zu Beginn hatte.

..immer wieder von vorne

Auch wenn dieses Erlebnis, das bereits ein paar Jahre zurückliegt (positiv) prägend war, habe ich auch heute noch eine (vermeintliche?) Ablehnung gegen jegliche Form von Aktivitäten mit Lagercharakter. So waren diese (alten) Gefühle und Gedanken, ja, all diese Prägungen wieder da. Es ging darum, zwei Tage mit einer Gruppe unterwegs zu sein. Natürlich äusserte ich auch hier wieder meinen Unmut und meine Ablehnung. Meine Haltung wurde zur Kenntnis genommen, es war Verständnis da und teilweise wurde sogar erfragt, warum das so ist. Was soll ich sagen, rückblickend es war wieder ein gutes Erlebnis.

Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt die Macht unserer Wahl. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.

Viktor E. Frankl

Diese zwei Erlebnisse bringen mich zu folgenden (nicht abschliessenden) Gedanken

Die Vergangenheit und die Prägungen sind ein Teil von uns. Sie müssen aber nicht unsere Zukunft prägen. Wir können immer wieder von vorne oder vielleicht eher dort, wo wir uns gerade befinden, anfangen.

Ich finde es wichtig, sich seinen Ängsten und Unsicherheiten immer wieder zu stellen*. Es scheint mir wichtig zu sein, mit anderen Menschen unterwegs zu sein und zu einer Gruppe zu gehören. Warum hätte ich sonst so eine Angst oder so eine Unsicherheit. Es könnte mir ja schliesslich auch total egal sein.

Wir tragen Prägungen in uns, die sich (vielleicht) bereits eingebrannt haben, als wir noch Kinder waren. Das sind wir aber irgendwann nicht mehr. Dann können wir neue Erlebnisse schaffen, wir sind nicht mehr (so) hilflos, wie wir das einmal waren.

Es sind nicht nur Prägungen, sondern auch Wesenszüge, die einen Einfluss auf uns haben (können). Wenn wir diese erkennen, diese akzeptieren oder uns damit anfreunden können, dann eröffnen sich neue Möglichkeiten und Freiheiten.

Zu sagen, dass wir etwas nicht mögen oder Schwierigkeiten damit haben, ist völlig o.k. Es hilft den anderen, uns besser zu verstehen und vielleicht die eine oder andere Reaktion nicht zu stark zu werten. Ich hatte bei diesen beiden positiven Erfahrungen das Glück, das äussern zu dürfen. Unter anderem genau diese Offenheit hat mir ermöglicht, diese zwei positiven (und prägenden) Erfahrungen zu machen.

Das braucht jedoch auch Menschen, die diese Offenheit haben. Menschen, die in der Lage sind, diesen Raum zu schaffen, zu halten und doch einfach ganz «normal» unterwegs zu sein. Ich denke, das ist wohl eines der grössten Geschenke.

Achtsam zu sein und zu merken, was gerade passiert, hilft. Es hilft, (alte) Prägungen und Reaktionsmuster zu erkennen und zu beobachten. Möglicherweise gelingt es sogar, diese mit einer Freudlichkeit zu betrachten. Es sind oft Muster, die heute eigentlich keine Berechtigung und keine Notwendigkeit mehr haben.

«Je mehr ich einfach gewillt bin, inmitten dieser ganzen Komplexität des Lebens ich selbst zu sein, und je mehr ich gewillt bin, die Realitäten in mir selbst und im anderen zu verstehen und zu akzeptieren, desto mehr Veränderung scheint in Gang zu kommen.

Carl R. Rogers (Rogers 1973)