Gedanken über das Menschsein und die Arbeitswelt

Wir sind ganz

In den letzten Tagen ist in den Medien zu lesen, zu sehen und zu hören, wie der Sportdirektror eines deutschen Fussballvereins seinen Rücktritt bekannt gibt.

Max Eberls emotionaler Rücktritt: «Möchte mit diesem Fussball gerade nichts zu tun haben» wird zum Beispiel getitelt.

Im Video der Pressekonferenz sieht man einen Mann, der mit den Tränen kämpft, einen Mann der gemerkt hat, dass er im Moment nicht mehr kann und dass «es» für ihn zu viel ist. Seit dieser Pressekonferenz erscheinen in Zeitungen und in den (a)sozialen Medien etliche Berichte und Posts. Weil ich mich bei vielem ärgere, mache ich mir hier einige Gedanken.

Die Themen rund um den Rücktritt eines Menschen, der das öffentlich tun musste, da sein Amt das verlangt, sehen ungefähr wie folgt aus:

  • man sieht, wie krank diese Fussballwelt ist
  • Corona macht einfach müde
  • Die Arbeitswelt macht krank
  • So eine kranke Welt
  • Männer zeigen Tränen
  • Menschen sprechen über ihr eigenes Burnout (mit Fokus ich habe zu viel gearbeitet)

Sicher liesse sich das noch erweitern. Das sind natürlich ungefähre Zusammenfassungen der Themen, bilden aber das meiste ab. Nun, die Thematik wird gerade für das verwendet, das passt. Ich kenne die Hintergründe nicht, ich weiss nicht mehr, als die Zeitungsberichte zeigen und nicht mehr, als in dem Video zu sehen ist. Mich ärgert aber, dass solche Themen immer wieder «missbraucht» werden. Das mag jetzt etwas hart klingen! Es ist für mich jedoch so, dass wir auch hier nicht genau hinsehen (wollen?). Ich nehme hier keinen weiteren Bezug auf diese Pressekonferenz oder die Situation. Lediglich auf die Themen, die wiederum eine Verallgemeinerung sind.

Der Mensch ist ganz

Wir Menschen sind ganz oder ganzheitlich. Gerade psychische Themen werden gerne auf äussere Einflüsse geschoben. Denn man ist ja nicht irre, man ist oder war zumindest (zu) leistungsfähig, wollte es doch nur richtig machen, allen recht und so weiter. Wir tun dann so, als könnten wir einen Teil von uns am Morgen zu Hause lassen, als könnten wir einen Teil von uns an der Bürotüre oder vor dem Schulhaus abgeben. Das geht natürlich auch umgekehrt. Als könnten wir die 8 Stunden oder mehr, die wir auf der Arbeit verbringen, einfach dort lassen. Was wären wir wohl für Menschen, wenn wir das so trennen würden und könnten. Wären wir noch Menschen oder schon Maschinen? Ich bin mir sicher, dass wir Körper und Psyche nicht trennen können. Es ist eine Einheit. Übrigens erschien diese Woche eine SRF Dok zum Thema Burnout, in der wieder einmal aufgezeigt wurde, dass Burnout mit viel mehr ist, als eine Arbeitsüberlastung.

Woher kommen die, oft schon fast zusammenhangslosen Interpretationen?

Die Menschen finden wahrscheinlich die Worte und Themen, an denen sie für sich anknüpfen können. Es sind vielleicht Ängste, die dahinter stecken oder die eigenen Bedürfnisse nach gesehen werden, kommen zum Vorschein. Sie spüren ihre eigenen Grenzen, sie merken, dass die Erschöpfung nicht mehr weit ist. Sie möchten selbst weinen, sie wünschen sich Anerkennung oder sie fühlen sich mit den aktuellen Umständen schlichtweg überfordert. Nichts von dem ist falsch. Es zeigt für mich zwei wesentliche Dinge:

  1. Was da an dieser Pressekonferenz an die Oberfläche tritt, ist eines von sooo vielen Beispielen.
  2. Wir brauchten unbedingt ein Umdenken, ein Handeln, vielleicht eine Welle der Humanisierung. Gerade in der Arbeitswelt.

Wenn du andere Leute ansiehst, frage dich, ob du sie wirklich siehst, oder ob du nur deine Gedanken über sie siehst.

Jon Kabat-Zinn

Es wird noch dauern

Klar ist, dass an vielen Stellen geschraubt wird, Gelder gesprochen werden, um den fahrenden, defekten Zug oder Züge (Wirtschaft, Schule, «Leben») zu reparieren, anstatt diese einfach einmal von der Schiene zu nehmen. Auch hier ist wieder offensichtlich, dass es nicht eine einheitliche und konkrete Lösung gibt, aber so wie es bisher war, gehts nicht mehr weiter.

Die Augen für die Realität öffnen

Wenn wir irgendwo hin möchten, oder uns in irgendeine Richtung entwickeln möchten, können wir nur von dort aus starten, wo wir gerade stehen. Wenn wir nicht wirklich wissen, wo wir stehen, kann es sein, dass wir uns nur im Kreis bewegen.

Jon Kabat-Zinn

Wer ist denn eigentlich verantwortlich? Wir alle! Es geht nicht, dass wir das einfach auf die Wirtschaft, Schule etc. abschieben, auch wenn das «System» einen riesen grossen Anteil daran hat. Wir müssen oder dürfen lernen, dass auch wir wirksam sind. Wir sind Selbstwirksam. Dafür müssen (müssen ist immer etwas hart, ist aber so, wenn wir es anders wollen) wir unser Leben selbst in die Hand nehmen, ein Gefühl dafür kriegen wie das geht, wie wir das machen können und Unterstützer*innen an unserer Seite haben. Aber wie (an-)erkennen wir uns selbst und wie können wir ins Tun kommen?

Ich hatte das Glück, immer Weinen zu dürfen

«Männer weinen nicht». Das war für mich immer eine eigenartige Aussage, weil ich das durfte. Es war nichts schlimmes, nichts negativ behaftetes. Weinen ist befreiend und normal. Auch Männer tun das. Geben wir also auch dem Platz.